In wiefern beeinflusst die »Neue Typographie« noch heute unser grafisches Verständnis?
Seine wesentlichen Prinzipien haben sich, vermittelt über Bewegungen wie den »Swiss Style«, die HfG Ulm oder die »Kassler Schule«, bis in die visuelle Kommunikation unserer Tage hineingetragen. Das Primat der Funktionalität wird – ausser in künstlerischen Zusammenhängen – nicht mehr ernsthaft bestritten. Serifenlose Akzidenzen sind allseits akzeptiert, die gängigen Textverarbeitungen bieten Arial als eine Standardschrift, Fotografie ist dank Photoshop selbstverständliches Bestandteil heutiger Gestaltung. Aber wichtiger scheint mir, dass sich die Logiken der »Neuen Typographie« fest in unserem individuellen und kollektiven visuellen Gedächtnis eingebrannt haben, sie sind Teil unserer Bildsozialisation, von Kindesbeinen an.
Beginnend mit der Juni-Ausgabe der novum werden Sie in einer Artikelreihe verschiedene Aspekte der Bewegung beleuchten. Auf welche Themen dürfen die Leser gespannt sein?
Es geht um die Wurzeln des funktionalen Designs in Deutschland und die Rolle des Bauhauses bei seiner Verbreitung in Deutschland und darüber hinaus, also um die Zentren in West- und Mitteldeutschland und um die internationalen Vertreter der Bewegung, bis hin zur eklektizistischen Adaption der Stilauffassung durch die NS-Machthaber.
Die »Neue Typografie« und auch das Bauhaus beeinflussten und veränderten das Design radikal, gibt es heute ähnlich revolutionäre Gestaltungsansätze, über die man auch in 100 Jahren noch sprechen wird?
Mit dem Wandel der Trägermedien vom Papier zum Display haben vergleichbar grundsätzliche Umwälzungen eingesetzt. Die Innovationszyklen im Web-Design sind allerdings so kurz, dass »Schulen« kaum Zeit haben, sich zu etablieren - schon werden sie wieder von neuesten Trends abgelöst. Ob unsere Nachfahren davon in 100 Jahren sprechen werden, kann ich freilich nicht sagen: Vermutlich fehlt es dann oft schlicht an Quellenmagerial, denn anders als in der analogen Welt mit ihren Archiven und Bibliotheken ist das virtuelle Design viel flüchtiger und schwerer nachzuvollziehen.
Die Artikelreihe zur »Neuen Typographie« beginnt mit novum 06.17 und auf folgende Themen darf man in den kommenden Ausgaben gespannt sein: Die internationale Bewegung – der »Ring neue Werbegestalter« (08.17); Die nationale Offensive – »Ring«-Zentren in Deutschland (09.17); Das »neue Frankfurt« – eine Stadt erfindet sich (10.17); Mitteldeutschland – aus der Metropole in die Provinz (11.17); Der NS-Dumpfheit getrotzt – eine Idee lebt weiter (12.17).
In Kürze erscheint zu diesem Thema auch:
Patrick Rössler/Bauhaus-Archiv Berlin: bauhaus.typo. 100 Arbeiten aus der Sammlung des Bauhaus-Archivs Berlin, 2017